Der überwiegende Teil derjenigen, die seit den späten 1980er Jahren als „russlanddeutsche“ Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler nach Deutschland gekommen sind, lebte vor der Ausreise nicht in Russland, sondern in Kasachstan. Von den zwei Millionen Menschen, die bei der letzten sowjetischen Volkszählung 1989 als Nationalität „deutsch“ angaben, entfiel etwa die Hälfte auf Kasachstan. Auf dem Gebiet des heutigen Kasachstan siedelten schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert deutsche Kolonisten, allerdings nur in geringe Zahl. Das änderte sich mit den stalinistischen Deportationen, in deren Verlauf mehr als 900.000 Deutsche aus den Hauptsiedlungsgebieten an der Wolga und im Schwarzmeergebiet nach Kasachstan, Zentralasien und Sibirien zwangsumgesiedelt wurden. Im Vortrag soll die Geschichte der Deutschen in Kasachstan beleuchtet und eine Zwischenbilanz aktueller Begriffsdiskussionen gezogen werden, denn unter dem Eindruck des russischen Krieges gegen die Ukraine wird die traditionelle Bezeichnung „Russlanddeutsche“ für alle Deutschen, die auf dem Territorium des Russischen Reiches bzw. der Sowjetunion lebten, zunehmend in Frage gestellt und nach Alternativen gesucht.
Prof. Dr. Dietmar Neutatz ist Professor für Neuere und Osteuropäische Geschichte an der Universität Freiburg und forscht zur Geschichte des Russischen Reiches und der Sowjetunion im 19. und 20. Jahrhundert.
Eintritt frei