Im Sommer der weiß-rot-weißen Revolution 2020 hatte die Weltöffentlichkeit die Republik Belarus nachhaltig zur Kenntnis zu nehmen. Über die Herkunft und Bedeutung des Namens „Weiße Rus“ oder „Belarus“ ist viel spekuliert worden. Klar ist dabei nur eines: die Übersetzung „Weißrussland“ führt in die Irre, weil es sich um eine Bezeichnung handelt, die im Laufe der Jahrhunderte auf ganz unterschiedliche Regionen des nordöstlichen Europa bezogen wurde. Zum Verständnis der Sache sind zwei Prozesse in Betracht zu ziehen: die Auseinandersetzung zwischen Polen- Litauen und dem Moskauer Reich um das Erbe der Kiewer Rus einerseits und die Ausdifferenzierung der Ostslaven andererseits. Erinnerungskulturell lautete die Alternative „Ruthenien“ oder „Moskowien“. Während die Ukraine als Kosakenland ihre eigene Tradition erfand, etablierte sich die „Weiße Rus“ als Bestandteil des historischen Litauens.
Prof. Dr. Thomas Bohn lehrt Osteuropäische Geschichte am Historischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er war u.a. Sprecher der Belarusisch-Deutschen Geschichtskommission; zahlreiche Publikationen u.a. zu Belarus (zuletzt: Heldenstadt Minsk. Urbanisierung à la Belarus. Köln/Wien 2022).
Bild: Thomas Bohn